Diversität und Koordination im Ehrenamt

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Diversitätsoffenes Bildungshaus

Interview für Die Bildungshaus Engagement-Plattform

Gesprächspartner: Abdullah Al Jonaid, von AWEB.de

Im Rahmen des Bildungshaus Engagement Projektes Berlin möchten wir mit Koordinierenden aus unterschiedlichen Feldern des Engagements ins Gespräch gehen. Wir wollen in unseren Interviews Themen wie Bedarfe, Lebenswege und Erfahrungen sichtbar und hörbar machen.
Zu Gast bin ich heute bei Abdullah Al Jonaid in den Räumen des Ehrenamtsbüros Reinickendorf in Tegel.

Abdullah ist seit Juni 2022 bei AWEB – Alles Was Es Braucht (Dein Weg). Das Projekt ist eine Kooperation des Ehrenamtsbüros Reinickendorf und der Freiwilligenagentur Die Spandauer. AWEB befindet sich in Trägerschaft der Stiftung Unionhilfswerk Berlin.
Seit dieser Zeit öffnet Abdullah als Projektkoordinator Wege ins freiwillige Engagement für Menschen mit Fluchterfahrungen. Er informiert und berät Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften, motiviert Sie mutig zu sein, Ihre Umgebung kennen zu lernen, Kontakte zu knüpfen und die Deutsche Zweitsprache zu lernen. Abdullah besucht relevante Einsatzstellen, um für das Engagement für Menschen mit Fluchterfahrungen zu werben, Chancen zu benennen und Fragen zu beantworten.

 

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Abdullah, Danke, dass Du Zeit für einen Besuch des Bildungshaus Engagements Berlin gefunden hast. Du bist ja selbst jemand, der migriert ist. Kannst Du uns dazu ein bisschen was erzählen?
„Ich bin Abdulah. Ich komme aus Syrien. Ich bin seit fast 8 Jahren in Deutschland und seit Juni 2022 bei AWEB. Ich war zu Beginn in der Volkshochschule in einem Integrationskurs. In der Hartnacksprachschule ging es dann weiter mit einem Orientierungskurs und danach war ich in der Berlitz Schule, um die deutsche Sprache zu lernen. Ich kann nur sagen, das ist die beste Schule. Aber noch immer bin ich nicht ganz sicher in der deutschen Sprache.
Ich habe danach 21 Monate lang bei der“ gemeinnützige Gesellschaft für berufsbildende Maßnahmen“ (GfbM) eine Weiterbildung zum Sprach- und Integrationsmittler gemacht . Da ging es um die Theorie im Sozial- und Gesundheitsbereich und um das Bildung-System. Ich hatte zwei Praktika. Eines in der Grundschule in einer Willkommensklasse. Ich bin in Syrien Lehrer gewesen. Lehrer für Arabisch. Das ist so wie hier Lehrer für Deutsch. Ich habe hier in Berlin auch Arabisch unterrichtet mit Kindern. Und war dann auch im arabischen Zentrum. Sprache steht an erster Stelle.
Bei AWEB zeige ich Menschen mit Fluchterfahrungen alles was Sie brauchen um den Weg ins ehrenamtliche Engagement zu machen. Mann, Frau und Jugendliche ab 14 Jahre.“

Merkst Du bei Deiner Arbeit, dass deine eigene Geschichte Einfluss hat auf den Kontakt mit den Menschen?
„Die eigenen Erfahrungen machen einen großen Unterschied. Ich kann die Leute verstehen. Wir haben gleiche Geschichten und Erfahrungen. Ich habe meist etwas mehr, weil ich hier lange bin. Mein Weg war gut. Den Leuten jetzt zu helfen besser, schneller und gut Ihren eigenen Weg zur Integration zu finden ist mein Ziel. Hauptziel ist die Integration. Ich war in Gemeinschaftsunterkünften und habe nach meiner Beratung dort an einem Tag gleich fünf Leute erreicht. Ich nehme gleich alle Leute mit. Ich erkläre alles sehr gern, denn ich bin ja schließlich Lehrer und wiederhole alles bis es gut verstanden ist.
Viele Menschen, die Migrationserfahrungen haben, machen auch nach der Flucht, das gerne was sie auch schon vorher gern gemacht haben. Sie versuchen das alte hier weiterzuleben. Aber es ist schwer, denn es ist hier wie ein neues Leben, wie eine neue Geburt. Bedenke, ich bin somit hier in Deutschland erst 8 Jahre alt.“ (Lachen)

Wie sieht ein gewöhnlicher Tag bei Dir eigentlich aus?
„Jeden Tag habe ich neue Motivation und neue Lust. Jeder Tag ist ein Geschenk. Ich sehe das und will den Tag gut benutzen. Ich habe großes Interesse auf Leute und auf Kontakte. Ich mag neue Geschichten und höre gern zu. Wer gut zuhört, der spricht auch gut mit anderen.
Ich muss am Tag viel Planen. Ich bin draußen unterwegs, um meiner Zielgruppe zu begegnen. Ich gehe in Gemeinschaftsunterkünfte, Stadteilbüros, Familienzentren und Sprachcafés. Ich suche aktiv nach Einsatzstellen. Viele der Menschen mit Fluchterfahrung sind zum Beispiel auch Lehrer:innen und suchen ein Engagement in der Schule oder in einer Kita. Ich war gerade in den letzten Tagen in zwei Grundschulen. Ich spreche mit den Schulleiter:innen und erfahre so zum Beispiel von Bedarfen in Willkommensklassen. Da sind viele Kinder und auch Eltern, die die deutsche Sprache noch gar nicht kennen und Arabisch sprechen. Ein:e Ehrenamtliche:r kann hier gut vermitteln. Er oder sie unterstützen die Lehrer:innen und Eltern nicht nur beim Übersetzen, sondern manchmal sogar bei Kindererziehungsfragen zu Hause. Ich bringe durch meine Arbeit beides zusammen.
Ich bleibe auch in Kontakt und frage ab und zu diskret nach wie es so läuft. Ich spreche immer mit beiden Seiten einzeln. Ich bleibe Ansprechpartner. Dass ich die Kultur verstehe spielt eine große Rolle, denke ich. Ich bin Integrationsmittler und somit gut im Vermitteln.
Die meisten, die ich zum Beispiel in den Sprach-Cafés treffe, haben bereits eigene Wohnungen. Sie sind etwas länger hier, haben Deutschkurse gemacht, aber bisher keine Arbeit gefunden. Jede ehrenamtliche Tätigkeit braucht Sprache, B1 mindestens. Menschen, die aus dem arabischen Sprachraum kommen sind sozial sehr gern aktiv und treffen sich dann eben in Sprach-Cafés .“

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Welche Fortbildungsinhalte oder auch andere Wissensquellen haben Deine jetzige Arbeit unterstützt? Welche wertvollen Erkenntnisse nutzt Du bis heute?
„Mein Kollege, Ralf Gottschalk ist hier immer eine große Hilfe. Aber es braucht an allen Stellen Fortbildungen. Beispielsweise sprechen alle Behörden immer über Flüchtlinge. Aber auch in Behörden bräuchte es Fortbildungen, denn es wird immer nur eine Seite besprochen.
Über meine Gespräche mit betroffenen Menschen habe ich oft Geschichten gehört, wie es ist, wenn die Menschen sich in Ämtern vorstellen und es gibt mehr schlechte als gute Erfahrungen.
Es fehlt vielleicht an Informationslust und Akzeptanz von Seiten der Behörden für die Tatsache, dass verschiedene Kulturen sich hier treffen. Das bedeutet immer einen Stolperstein.“

Was denkst Du darüber wie man die Vielfalt in Arbeit und Engagement erhöhen und fördern könnte?
„ Ehrenamtliche, die ohne Geld arbeiten sind immer sehr gern gesehen. Es ist ein erster Schritt in die positive Selbstwahrnehmung für Menschen mit Fluchterfahrungen. Sie können in Bereichen arbeiten, die ihnen schon im Heimatland lagen und bekommen dazu noch eine Bescheinigung. Diese wird leider nicht immer beachtet. Das wiederum ist schade und lässt die Motivation zum Engagement sinken. Ich war auch zwei Jahre im Ehrenamt und meine Bescheinigung darüber wurde bei den Behörden ignoriert.“

Wo holst Du Dir Dein Wissen her und wie bereitest Du die Freiwilligen auf Ihre Aufgaben vor?
„Wir haben hier bereits insgesamt zwei Fortbildungen veranstaltet. Ich habe vor, dass das mehr wird. Bisher war es beispielsweise eine Fortbildung zum Thema Anti-Bias, also zu Thema Vorurteile. Die Fortbildung habe nicht ich geleitet, aber in Zukunft würde ich auch gern mit fortbilden.
Ich selbst finde Themen wichtig, wie beispielsweise man tatsächlich die passende Einsatzstelle für den richtigen Menschen finden kann, damit sie so lange es geht gern dabeibleiben.“
Außerdem ist gerade im Zusammensein mit Menschen Diversität ein wichtiges Thema. Ich habe beispielsweise letztes Jahr erfolgreich an der Diversitätsorientierungs-Pormotor:innen“ Fortbildung teilgenommen, die die Landesfreiwilligenagentur Berlin anbietet.
Menschen, die in anderen Kulturen gelebt haben, sind wie ich. Sie sind einfach von innen, also von der Kulturseite anders. Integration bedeutet nicht seine Kultur zu vergessen. Es bedeutet eine Verbindung herzustellen. Sie zu schaffen zwischen beiden Kulturen.
Das Wort Integration hat aus meiner Erfahrung für Menschen mit Fluchterfahrungen einen schlechten Ruf. Es gibt aus meiner Sicht einfach zwei Seiten von Integration. Eine positive und eine negative Integration quasi. Bei der Betrachtung der negativen Seite, fragen Menschen, die Integriert werden sollen sich: Was müssen wir jetzt dafür mehr machen, um die Integration zu schaffen? Sie fühlen sich damit unter Druck gesetzt und so gibt es keine Integration.

 

Positive Integration zeigt sich Beispielsweise in mit meiner Person. Ich fühle mich integriert ohne gezwungen worden zu sein. Mit Druck kann es keine Erfolge geben, sondern es passiert eher ein umgekehrtes Ergebnis. Statt gegenseitigen Respekt aufzubauen findet eher der Rückzug statt.“

Vielleicht sollte es mehr Vorbilder wie Dich geben? Was meinst Du?
„Es ist vielleicht ein bisschen so: Integration läuft seit Jahren durch deutsche Menschen. Fragen wir uns wie weit sie tatsächlich gekommen sind? Man sieht es beispielsweise an den Kindern. Auch wenn die Eltern flüchten mussten, manche Kinder kommen als Säuglinge nach Deutschland oder werden sogar in Deutschland geboren. Sie wachsen hier auf und trotzdem gelten sie zu meist als fremde Leute.“

Was hat Dir, vor allem auf dem Weg Dich integriert zu fühlen, geholfen?
„Integration müsste einfach erleichtert werden. Es braucht viele, viele Angebote für deutsche Sprache. Das ist der Schlüssel. Es erleichtert den Weg für geflüchtete Menschen in jegliche Tätigkeit hier in Deutschland. Und eine andere Hauptsache ist der gegenseitigen Respekt. Die Verschiedenheiten sollten akzeptiert sein.“

 

Abdullah, wie hast Du Diversitätsoffenheit in Fortbildungen an denen Du teilgenommen hast, empfunden? Wie sollte man diese Möglichkeiten gestalten, um möglichst Viele gut zu erreichen?
„Große Hürde ist auch hier die Sprache. Spezifische Begriffe und komplizierter Sprachgebrauch sollten Berücksichtigung finden. Auch bei der Koordination und der Vermittlung zwischen Menschen mit Deutsch als Zweitsprache, ist ein leichtes und zielgruppengerechtes Sprachniveau sehr bedeutsam. Dabei geht es nicht um B1 oder A2 Niveau, sondern vielmehr um die erleichterte Informationszusammenstellung.
Viel Theorie und zu professionelle Formulierungen schrecken ab. Sie machen ein Gefühl, als würde man von oben herab mit einem sprechen. Es sollte mehr praktische Themen geben, denn gute Beispiele und alltägliche Geschichten verdeutlichen Zusammenhänge oftmals mehr. Gerade wenn die Sprache noch etwas schlecht ist.
Manchmal sehe ich auch bei Koordinator:innen woanders, dass sie gern viel erklären, aber die tatsächlichen Anliegen der fragenden Menschen nicht wirklich verstehen.“
Das heißt für mich, dass eine Vielfalt auch in den Koordinationsstrukturen auf jeden Fall angestrebt werden sollte.

Wie kann das deiner Meinung nach am besten erreicht werden?
„Wichtig bleibt das Respektieren der Unterschiede und darauf eingehen. Wenn Du als Mensch mit jemand anderen sprichst, merkst Du an einem Lächeln oder in den Augen der Person ganz ohne Worte, wenn die Akzeptanz nur oberflächlich ist. Es wäre gut, dass akzeptiert wird: deutsche Sprache ist nicht einfach!

Integration passiert durch Ehrenamt und Mut.

Deutschland hat in der Welt nun mal einen sehr guten und verheißungsvollen Ruf. Hier ist angeblich alles wie eine Maschine und es soll toll sein. Das zieht Menschen von überall hier her. Sind sie in der Realität, die nicht annähernd so gut ist, scheint es wie ein Trauma. Sie sind endtäuscht und leiden. Es gibt dazu ein tolles Buch, das ich empfehlen kann. Ich selbst liebe es zu lesen und lese viel. Das Buch von Fatima Aydemir „Eure Heimat ist unser Albtraum“
Es ist lesenswert, auch wenn der Titel etwas gemein anmutet vielleicht. Das Buch wäre übrigens auch ein guter Inhalt für eine Fortbildung.
Für Menschen mit Fluchterfahrungen kann ich sagen: Mutig sein und keine Angst haben. Vor allem keine Angst vor den Ämtern in Deutschland. Das sind keine Maschinen (Lachen). Eine gute Atmosphäre zu finden und die Leute von „drinnen“ sehen, das wäre mein Tipp. Es gibt sehr viele Hilfen, um als geflüchteter Mensch in Deutschland die ersten Schritte nach vorne machen zu können.
Und die Menschen die hier lange leben, sollen bitte nicht vergessen: auch wenn Flüchtlinge arbeiten und hier äußerlich zurechtkommen, sie brauchen Unterstützung auf dem Weg mutig zu bleiben. Ohne Zusammenarbeit gibt es keinen Erfolg.“

Vielen Lieben Dank Abdullah Al Jonaid für das spannende Gespräch und danke für Deine Zeit.

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